Rund 40 Prozent der weltweiten Pflanzenvielfalt gelten heute als gefährdet. Sammlungen von lebenden Pflanzen in Botanischen Gärten sind eine wertvolle Quelle für die Arterhaltung. Seit den 90er Jahren sind Botanische Gärten jedoch zunehmend mit Einschränkungen bei der Weiterentwicklung ihrer Sammlungen konfrontiert, was teilweise auch den Schutz der Artenvielfalt gefährdet. Das berichtet eine neue internationale Studie, an der auch die Botanischen Gärten der Uni Bonn beteiligt sind. Die Ergebnisse sind jetzt in der Zeitschrift Nature Ecology and Evolution erschienen. Für die Untersuchung wurden die Bestandslisten der letzten hundert Jahre aus 50 wissenschaftlichen Gärten weltweit untersucht. 1,9 Millionen Datensätze wurden untersucht, die über 40% der Pflanzen der globalen Artenvielfalt umfassen.
Die Gefährdung der Pflanzensammlungen rührt zum einen daher, dass es immer schwieriger wird, neues Pflanzenmaterial aus der Natur für die Forschung zu entnehmen. Auf möglichst einfachen Zugang und die Erlaubnis, Pflanzen in den heimischen universitären Garten mitzunehmen, sind Forschende weltweit aber angewiesen. Denn naturgemäß sterben lebende Pflanzen irgendwann – die Studie belegt, dass dies in Botanischen Gärten im Schnitt nach ungefähr 15 Jahren passiert und dann eine Neubeschaffung erforderlich wird. Pflanzen oder Samen vom Naturstandort sind dabei für Forschung und Arterhaltung am besten geeignet. Die Studie zeigt jedoch, dass diese Art von Neubeschaffungen seit 1993 stark rückläufig ist (Rückgang um 38% bei Neubeschaffungen nicht-heimischer Pflanzen). Als einer der Gründe wird die internationale Biodiversitätskonvention (Convention on Biological Diversity) und das daraus entstandene Dickicht an Verfahren und Regeln benannt, das den internationalen Austausch von Wissen und Material behindert. Die von der Universität Cambridge geleitete Studie zeigt aber auch, dass Botanische Gärten offenbar die Grenzen ihrer Kapazitäten erreicht haben: mehr Pflanzen als bisher können kaum kultiviert werden. Was ist also zu tun?
Dr. Cornelia Löhne ist die Wissenschaftliche Leiterin der Botanischen Gärten der Uni Bonn: „Die Studie identifiziert nicht allein den ungewollten negativen Effekt der Biodiversitätskonvention, sondern erklärt auch, dass der Ausbau eines globalen Netzwerks von Lebendsammlungen gemeinsam verwaltet und gestaltet werden muss. Das Wissen über die Bestände und der Austausch von Pflanzenmaterial zwischen Gärten muss verbessert werden, wenn die Neubeschaffung von Originalmaterial immer schwerer wird.“
Voraussetzung dafür ist zuerst, eine transparente Dokumentation zu jeder Sammlung zu haben. „In Bonn ist von Anfang an bestmöglich dokumentiert worden, wo neue Pflanzen herkamen. Früher wurden dazu nur einige Notizen auf Karteikarten gemacht, doch seit den 1980er Jahren wird bei uns alles in einer Datenbank erfasst. Als die Kollegen aus Cambridge die Beteiligung an der Studie anfragten, konnte ich wenige Tage später nach Durchsicht aller Datenbestände unsere Bonner Daten zu 100 Jahren Sammlungstätigkeit übermitteln“, erläutert Cornelia Löhne. Das ist nicht selbstverständlich. Die Studie hält ausdrücklich fest, dass weltweit der Status der Dokumentation bzw. ihr Fehlen ein Hindernis beim Austausch von Wissen und Pflanzen ist.
Priorisierung und Wissenstransfer
Die Studie empfiehlt jetzt eine fundierte Priorisierung beim Management der Pflanzensammlungen, um einen sinnvollen Beitrag zu den globalen Naturschutzzielen leisten zu können. Cornelia Löhne betont, dass dies hier bereits seit langem umgesetzt wird: „Die wissenschaftliche Betreuung und Entwicklung einer Pflanze braucht eine kompetente Fachkraft. Gleichzeitig ist aber auch die gärtnerische Expertise unerlässlich. Unsere wertvollsten Sammlungen sind entstanden, weil engagierte Personen in unserem Team die erforderliche Expertise und Erfahrung mitbrachten. Wenn diese Expertise irgendwann nicht mehr da ist, muss man auch überlegen, was aus der Sammlung werden soll. Nicht selten endet die Weiterentwicklung einer Sammlung mit dem Ende eines Arbeitslebens in unseren Gärten. Die Fleischfressenden Pflanzen waren zum Beispiel früher eine wichtige und große Forschungssammlung. Heute haben wir sie zu einer immer noch vielfältigen, aber nicht mehr so umfangreichen Schausammlung entwickelt, die gern besucht wird.“
Die Studie war aber auch Anlass, den gesamten Bestand der Botanischen Gärten mit den Daten aus anderen Botanischen Gärten abzugleichen. „Durch diesen Datenabgleich konnten wir auch einige seltene und gefährdete Arten identifizieren, die wir teilweise schon lange in unserem Bestand haben, deren Bedeutung uns bisher aber nicht bewusst war.“ Dazu gehören zum Beispiel die Palme Pelagodoxa henryana, die auf der südpazifischen Insel Nuku Hiva wächst und stark gefährdet ist, oder das kleine Aronstabgewächs Nephthytis hallaei aus Gabun. „Solche seltenen Arten haben wir nun intern markiert, damit sie gezielt gepflegt, vermehrt und an andere Botanische Gärten abgegeben werden“, so Löhne. Von Pflanzen, die in vielen anderen Gärten kultiviert werden, kann man sich dagegen leichter trennen um die begrenzten Kapazitäten sinnvoll einzusetzen.
„Für die Zukunft“, erklärt Cornelia Löhne, „stehen unsere Schwerpunktsammlungen im Mittelpunkt. Dazu gehören zum Beispiel die Silberbaumgewächse (Proteaceae) und die regionalen Nutzpflanzen, aber auch die Geophyten (Zwiebelpflanzen und andere). Die Geophyten sind derzeit im Fokus der Verwandtschaftsforschung an der Uni Bonn und so entwickelt sich eines unserer Alleinstellungsmerkmale weiter.“ Damit diese Sammlung auch in Zukunft Bestand haben wird, gibt der erfahrene Gärtner Michael Neumann, der seit 35 Jahren für die Geophyten zuständig ist, sein Wissen jetzt schon an die nächste Generation weiter, bevor er in einigen Jahren in den wohlverdienten Ruhestand gehen wird. „Profile ändern sich“, sagt die Wissenschaftliche Leiterin und freut sich auf die Zukunft: „Das wissenschaftliche Programm, unser Team und die Infrastruktur hier in Bonn sind für den Ausbau globaler Kooperation gut vorbereitet.“